Artikel: Schneckenhof: Aufklärung (BWL)[ Kolumne ]
05.06.2004  |   Klicks: 7331   |   Kommentare: 11   |   Autor: kroko
Schneckenhof: Aufklärung (BWL)
„Du Frederick“, fragte Piggeldy seinen großen Bruder. „Was ist B-W-L ?“ “Nichts leichter als das“, sagte Frederick. „Komm mit.“ Und Piggeldy folgte Frederick. Sie kamen zum A3-Hörsaal; Frederick schaltete den Tageslichtprojektor ein und begann mit seinem Vortrag.
Wenn Du in einer Vorlesung sitzt, der Vortrag sehr konfus ist, und Du nichts verstehst, weil der Stoff so kompliziert ist, dann sitzt Du in einer Physikvorlesung, oder bei den Informatikern, oder den Chemikern.

Sitzt Du dagegen in einer Vorlesung, der Vortrag ist konfus, und Du verstehst nichts, weil es gar nichts zu verstehen gibt, dann:
Willkommen in der Welt der BWL !


Wenn Du wissen willst, was BWL ist, musst Du Dir nur klar machen, welche Themen sie letztendlich behandelt: Nämlich gar keine.
BWL ist aber auch die Kunst, dieses Nichts in einem farbprächtigen Brimborium abschreckend zu verpacken.

Jeder halbwegs aufgeweckte BWL-Student weiß das, spätestens nach dem dritten Semester.

Doch das Kind in seinem unschuldigen Glauben hält dem Weihnachtsmann die Treue und hat den eierlegenden Osterhasen fest in sein Herz geschlossen.

Nach einer vielzitierten Studie der Cornell Universität haben Betriebswirte die herausragende Fähigkeit „unbeirrbar an die eigenen Lügen zu glauben“.

So glaubt der rechtschaffende BWL-Novize weiterhin tapfer daran, dass Sätzen wie dem folgenden ein Sinn innewohnen möge:
„Die saläre Primärklinalphase bereits absorbierter Konsumentensupplikationen gleicht sich dem Potential hedostrukturalistischer Emitter bzw. Immitter in der Weise an, wie es dem Niveauunterschied aus eichbaren und messbaren Signifikanzen im Verhältnis zu transeichbaren und –messbaren Signifikanzen [Wolfshein87] entspricht.“

Korrekturvorschlag: Die Wendung „wie es ... entspricht“ sollte noch geschickt durch „äquivalent korreliert“ ersetzt werden.


Du kapierst nicht, was das soll?

Das ist so wie mit den Blumen und den Fliegen.
Besser gesagt, mit den Doldenblütlern und der Gelbrand Schwebfliege.
Die Gelbrand Schwebfliege – bevorzugt in der Nähe von Doldenblütlern vorzufinden - sieht nämlich der bösen, gefährlichen Wespe täuschend ähnlich.
Sie ist aber nur eine Fliege, hat keinen Stachel und nur zwei Flügel (die Wespe hat vier Flügel).
Diese Fähigkeit, etwas vorzutäuschen, was in Wirklichkeit gar nicht vorhanden ist, nennt man in der Biologie „Mimikry“.
“Mimikry“ gibt’s aber nicht nur im Tierreich, sondern auch als Studiengang an der Uni.

Und das kam so:
In der freien Wirtschaft war man schon lange unzufrieden damit, Führungspersönlichkeiten nur aus den Reihen von Ingenieuren, Geisteswissenschaftlern und Experten anderer Fachgebiete rekrutieren zu können.

Einerseits hatten diese Experten durch ihr Unistudium bewiesen, dass sie hochkomplexen Anforderungen gewachsen waren.

Andererseits waren sie als Manager mit ihrem Spezialwissen unnötig belastet, ständig in Gefahr, Entscheidungsfindungen durch Kompetenz zu verkomplizieren.

Alles schrie also nach einem Studiengang, der eine Führungselite produzierte, die frei von jeglichem Fachwissen war.

Ein Studiengang mit allem universitären Schnickschnack:
Professoren, Klausuren, Scheinen, Durchfallquoten, Seminaren und Diplom. Nur ohne lästigen Inhalt.

Disziplin und Studiengang „BWL“ waren geboren.

Und „BWL“ wurde zur erfolgreichen Marke!
Während andere parawissenschaftliche Studiengänge wie Wünschelrutengehen, Kaffeesatzleserei und Hohlweltphysik schon längst wieder untergegangen sind, erfreut sich die BWL ungeteilt wachsender Beliebtheit.

In der DDR hieß der entsprechende Studiengang übrigens „Marxismus-Leninismus.“
Konsequent auf den Fundamenten des kommunistischen Manifestes (1848) aufbauend wurden 1898 die ersten Handelshochschulen gegründet.
Zufall?

Es ist nämlich immer praktisch, ein Theoriewerk zu haben, mit dem man jeden Kritiker als dumm und unverständig hinstellen kann.

Man wirble einen Haufen Phantasiewörter wild durcheinander und garniere alles mit einem Schuss "Mathematik".
Mathematische Formeln sind die Warntafeln, die davon abhalten sollen, sich den potemkinschen Dörfern der BWL zu nähern und sie als reine Fassade zu erkennen.
Alles Pappmaché!

Du glaubst es nicht, kleines Schaf, und denkst immer noch die Wölfe wären Vegetarier?
Greif das erstbeste BWL-Buch aus dem Regal und blättere ein wenig, bis Du auf kryptische Formelzeichen stößt, die den Text verzieren.
Und dann sieh Dir das Zeug mal genauer an.
Mathe Grundkurs reicht zum Kopfschütteln und Händeringen aus.
Z.B. „Multivariate Analysemethoden. Eine anwendungsorientierte Einführung. Backhaus, Erichson, Plinke - Springer Verlag“
Um reine Druckfehler kann es sich in der 9. Auflage ja nicht mehr handeln, vielmehr deutet es darauf hin, dass keiner der Leser sich bisher wirklich mit dem Stoff beschäftigt hat.
Nichts gegen das Buch oder seine Autoren – so ist das eben mit ihr, der nackten Kaiserin der Pseudowissenschaften, der BWL.

Wann wird nur jemals ein Student den Mut finden, in einer dieser sinnentleerten Worthülsen-Vorlesungen aufzubegehren, „So ein Flachsinn“ zu rufen und demonstrativ zu gehen?
BWL-Studenten dieser Uni ! Erhebt Euch!
Ihr habt nichts zu verlieren außer Eurem Ruf.

Die Angst des BWL-Professors vor dem kritischen Studenten ist indes unbegründet.
Wer Revolutionär werden will, studiert Politikwissenschaft oder Kernphysik.
Wer nach seinem Studium ein „maximales Matching“ seiner „Skills“ mit dem Stellenanzeigenteil haben will, studiert BWL.

So entlässt der Uni-Betrieb munter weiter potemkinsche Dörfler, die von Sachen reden, die es nicht gibt.
Nur dass sie aus dem Märchen „des Kaisers neue Kleider“ gelernt haben und in Maßanzügen rumlaufen.

Nach absolviertem Studium verwandelt sich unser konformistischer BWL-Student dann in einen wunderschönen Unternehmensberater, sagt „Zeit ist Geld“ und addiert das Datum gleich mit auf seine Rechnung.


Gemach.
Eines Tages wird auch die Ära der organisierten Mimikry Münchhausiaden zu Ende gehen.
Die Urenkel unserer Urenkel werden BWLer nur noch aus dem Museum kennen, platziert neben der Nachbildung eines Telefondesinfizieres und der in Bernstein eingeschlossenen Schwebfliege.
Als plastiniertes Ausstellungsstück im Naturkundemuseum wird dann der BWL endlich zuteil werden, was sie bisher vergeblich suchte: Einen Beitrag zur Wissenschaft zu leisten.


______________________________________________


Wortreich hatte Frederick in stundenlangem Frontalvortrag unverständlich über Selbstverständlichkeiten doziert, eine Folie nach der anderen aufgelegt und Piggeldy auch noch 40 EURO für sein Buch „Critical slow downs im Schweinezyklus“ abgeknöpft.

„Jetzt“, sagte Piggeldy ermattet, „jetzt weiß ich, was BWL ist.“
 
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11 Kommentare zu diesem Artikel
05.06.04, 13:54 Uhr #1 von maphi
he, sollte das eine Tatsachenbeschreibung oder eine Kolumne sein? Mir scheint, es ist eher zu ersterer geworden!
05.06.04, 15:55 Uhr #2 von SodaF
ach, das war eine äußerst interessante Meinung über BWL.
Mal sehen, welcher Studiengang als nächstes durch den Kakao gezogen wird.
06.06.04, 18:53 Uhr #3 von Alex84
Wie wahr...
Mein persönlicher Pokal geht eindeutig an die "multiattributive Wertfunktion", für besonders ausgeprägte Sinnentleertheit, Verkomplizierung einer Trivialität, pseudomathematische Verklausulierung und extrem hohes Dummlaberpotential.
07.06.04, 02:20 Uhr #4 von kaptainblaubaer
Dein bestes Stück.
08.06.04, 23:37 Uhr #5 von martin
weiter so!
"„Zeit ist Geld“ und addiert das Datum gleich mit auf seine Rechnung" das ist gut
09.06.04, 13:15 Uhr #6 von tobi
Vielleicht bekommst Du mal den fürstlichen Schneckenhof-Literaturweltpreis. Ganz ohne Preis-Absatzfunktionen.
11.06.04, 10:31 Uhr #7 von zimt
Perfekt auf den Punkt gebracht! War schon immer meine Meinung, nur so schön ausdrücken kann es halt nicht jeder...
28.06.04, 03:12 Uhr #8 von mbu1201
und den scheiss studier ich? oh je grins
coole kolumne
du wirst echt immer besser
14.07.04, 22:02 Uhr #9 von daverino
oh gott, ich muss weg!!!!
21.07.04, 18:38 Uhr #10 von Hoola
Halleluja!
Verdammt gut beschrieben.
25.09.08, 12:13 Uhr #11 von Sportfreund
Ich muss immer wieder lachen
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